Kurzfristige Kaffeesatzleserei | Eine kurze Einordnung des Kapitalmarktumfeldes

20. Oktober 2022
Kurzfristige Kaffeesatzleserei | Eine kurze Einordnung des Kapitalmarktumfeldes

Die Notenbanken, allen voran die US- amerikanische Notenbank FED, haben den hohen Inflationsraten den Kampf angesagt. Durch höhere Zinsen und Bilanzkürzungen der Zentralbanken, die wie Zinserhöhungen wirken, da dem Wirtschaftskreislauf Liquidität entzogen wird, versuchen die Notenbanken die Kreditnachfrage zu senken. Dies soll zu einer geringeren Nachfrage nach physischen Gütern führen und so Druck vom „Inflationskessel“ nehmen. Dabei wird bewusst nicht nur eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums in Kauf genommen (bzw. ist es so intendiert), sondern auch eine mögliche Rezession. Und genau in dieser befinden wir uns unseres Erachtens bereits, insbesondere in Europa, was die seit geraumer Zeit im kontraktiven Bereich valutierenden Einkaufsmanager-Indizes zeigen. Die Frage ist also inzwischen nicht mehr, ob wir in eine Rezession rutschen, sondern vielmehr wie scharf sie werden und wie lange sie dauern wird. Gestiegene und steigende Zinsen, der Krieg in der Ukraine und die Diskussion um eine Rezession erklären u.a. auch den stattgefundenen Kursrutsch an den globalen Kapitalmärkten der vergangenen Wochen und Monate. Die Antwort auf die lediglich kurzfristig gedacht interessante Frage, ob wir die Tiefs z. B. an den Aktienmärkten bereits gesehen haben, kann niemand seriös geben. Möglicherweise werden wir erst dann wieder länger anhaltende, starke Kurssteigerungen sehen, wenn „der Markt“ recht verlässlich davon ausgehen kann, dass die Notenbanken ihren Zinserhöhungszyklus beenden werden. Dies ist aber noch nicht der Fall und hängt davon ab, wie sich die Inflationsraten weiterentwickeln und ob die Notenbanken der Meinung sind, dass die Inflation erfolgreich und nachhaltig bekämpft worden ist. Bei der Beurteilung, ob und wann und in welchem Maße dies gelingen kann, sollte man nicht außer Acht lassen, dass die Gründe für die hohen Inflationsraten nicht ausschließlich in den durch den Krieg verursachten hohen Energiepreisen zu suchen sind. Die von uns schon mehrfach thematisierten Nachwirkungen der Pandemie, die zu geringen Produktionskapazitäten, die damaligen und aktuellen Lockdowns, z. B. in China, und die massiven Lieferkettenprobleme sind u.a. – neben den deutlich gestiegenen Energiepreisen – Gründe für die hohen Inflationsraten. Die unterschiedlichen Faktoren wie z. die weitere Entwicklung der Lieferkettenproblematik, die Entwicklung des Krieges, das mögliche Einsetzen einer Lohn-Preis- Spirale, der Arbeitsmarkt oder die weitere Zinspolitik machen eine (kurzfristige) Prognose schwer bzw. unmöglich. Möglicherweise haben wir sowohl den Höhepunkt bei den Inflationsraten als auch die Tiefs an den Kapitalmärkten bereits gesehen oder sehen sie bald. Es bleibt abzuwarten.

Investoren, die ihre Investmentstrategie auf kurzfristige Prognosen aufbauen, setzen sich im Allgemeinen und in dieser Gemengelage im Speziellen einem beachtlichen und zugleich unnötigen Risiko aus. Erstens können die Prognosen falsch sein, zweitens funktioniert „Timing“ in der Regel nicht. Es ist kurzfristige Kaffeesatzleserei. Vielmehr sollte eine langfristig erfolgreiche Investmentstrategie nicht darauf aufbauen, die Kriegsentwicklung, die Inflations- und Zinsentwicklung prognostizieren zu wollen und zu können: Dieser Tage startet wieder die Berichtssaison der Unternehmen. „[…endlich wieder Berichtssaison mit Zahlen, Daten und Fakten zur Geschäftsentwicklung der Unternehmen…]“, schrieb mir vergangener Tage ein Unternehmerfonds-Mitstreiter. So sehe ich es auch, denn die Geschäftszahlen und der Gewinn und dessen Entwicklung determinieren die mittel- bis langfristige Entwicklung der Unternehmenswerte und somit -nachgelagert- auch der Aktienkurse. Und es gibt Unternehmen, für die Inflation, Zinsen, Krieg und Energiepreise nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Firmen, die mit krisenresistenten Geschäftsmodellen, niedrigem Kapitalbedarf, beständig hohen Margen aufgrund hoher Skaleneffekte und die wegen ihrer Preissetzungsmacht aufgrund starker Marken, einer hohen Innovationskraft, einer überschaubaren Wettbewerbsintensität etc. sowohl der Inflation als auch einer Rezession trotzen können und ihren Unternehmensgewinn und – wert langfristig verlässlich (stark) steigern.

Investiert man nicht in den „Markt“, sondern diszipliniert in derartige Unternehmen, wird man vom Spekulanten zum Investor. Überlegungen wie die obigen zur weiteren, kurzfristigen Entwicklung spielen dann für einen langfristig orientierten Investor keine und wenn, nur eine kurzfristige, emotionale und ja, mitunter emotional herausfordernde Rolle. Auch sei gesagt: Etliche Weltklassefirmen gibt es nun zu günstigen Bewertungen zu kaufen. Qualität und günstige / angemessene Bewertungen von Unternehmen sind ein hervorragender Nährboden für einen mittel- bis langfristig großen Investmenterfolg. Ist man bereits Miteigentümer dieser Qualitätsfirmen, gibt es bei langfristigem Horizont keinen Grund etwas zu verändern. Verfügt man über Liquidität, die zur langfristigen Investition zur Verfügung steht, sollte man diese sukzessive, „portionsweise“ in robuste Gewinnmaschinen investieren. Und dann gilt: Qualität, Zeit, Kontrolle und Disziplin sind der Schlüssel zum Erfolg.