Sonova, H1 2021/22

14. Dezember 2021
Sonova, H1 2021/22

Die Schweizer erreichen im ersten Halbjahr (H1) des Geschäftsjahres 2021/2022 ein organisches Umsatzwachstum (oW) von 45,6% auf 1,6 Mrd. CHF. Die Vergleichsbasis im Jahresvergleich ist allerdings sehr niedrig wegen der damaligen Lockdowns weltweit (das erste Halbjahr H1 von Sonova geht von 1.4. bis 30.9., vor allem von April bis Juni 2020 war der Einzelhandel, auch die Hörgeräteakustik, praktisch weltweit über zehn bis zwölf Wochen geschlossen). Aussagekräftiger ist die starke durchschnittliche Wachstumsrate auf zwei Jahre in Höhe von 8,5% p.a., wobei man anmerken muss, dass die Kundenfrequenz trotz der erfreulichen Markterholung in den Innenstädten/Einkaufsmeilen in vielen Absatzregionen auch im Berichtszeitraum gebremst war.

Größter Wachstumstreiber war erneut die im August 2020 gelaunchte Premium-Hörgeräte-Plattform Phonak Audéo Paradise 2.0 (PRISM-Chip mit neuem Sprachverarbeitungs-Algorithmus, Sensorsteuerung, verschiedene Bluetooth-Verbindungen, verbesserte myPhonak-App und Bewegungssensor), deren anhaltende Absatzdynamik von der Markteinführung zweier add on-Innovationen verstärkt wurde: von Phonak Audéo Life, dem weltweit ersten wiederaufladbaren und vollständig wasserdichten Hörgerät, sowie im August 2021 von Phonak ActiveVent, dem weltweit ersten intelligenten Hörgeräte-Receiver (Weiterentwicklung des PRISM-Chip).

Die Sonova-Hörgeräte-Volumen-Marke Unitron lancierte im April dieses Jahres die Plattform BLU, die auf dem gleichen Sonova-PRISM-Chip wie die Phonak Paradise-Plattform basiert. Unitron BLU verkauft sich laut CEO Kaldowski seit dem Vermarktungsstart gut.

Ein weiterer Treiber der top line war das Cochlea-Implantate-Geschäft, insbesondere die Lancierung von zwei neuen Soundprozessoren der Marvel-Plattform für Erwachsene (Naida CI Marvel) bzw. für Kinder (Sky CI Marvel) sowie ein Anstieg chirurgischer Eingriffe (nachdem im Vorjahres-H1 viele Eingriffe verschoben worden waren).

Sonova wächst also, wie meist, vor allem mit neuen Produkten. Im Peers-Vergleich ist Weltmarktführer Sonova traditionell F&E-stark und hat deshalb fast immer eine hohe Schlagzahl bei Innovationen, die sich gut verkaufen. Langjährig setzt Sonova 7% bis 8% seines Umsatzes für F&E ein (aktuell 7,2%), das sind rd. 200 bps mehr als – die meist – margenschwächeren Wettbewerber.

Das Hörgerätegeschäft (also die Produktion und der Verkauf an konzernfremde Retailer/Hörgeräteakustiker wie z. B. Fielmann, Krankenversicherungen und Wiederverkäufer) hat in lokalen Währungen (das oW berichtet Sonova nicht für seine einzelnen Geschäftsbereiche) um 46,2% auf 890,2 Mio. CHF zugelegt. Die durchschnittliche Wachstumsrate auf zwei Jahre ist mit +10,5% in lokalen Währungen sehr gut, auch im Peers-Vergleich. Außerdem gewinnt Sonova in den meisten Absatzregionen weiter Marktanteile.

Der eigene Retail (20 Absatzmärkte mit 3.200 Filialen unter verschiedenen Marken) ist mit 48% in lokalen Währungen auf 575,4 Mio. CHF gewachsen, die durchschnittliche Wachstumsrate auf zwei Jahre beträgt +6,3% in lokalen Währungen.

CEO Kaldowski bemerkte im H1-Call, man schaue sich für den weiteren Ausbau des eigenen Retail-Netzwerks nach weiteren Zukäufen um, und zwar sowohl per bolt-ons zur Netzverdichtung in denjenigen Absatzmärkten, in denen Sonova bereits präsent ist (für bolt-ons, die Sonova praktisch laufend macht, werden künftig rd. 70 bis 100 Mio. CHF p. a. eingeplant, bisher waren es 50 bis 70 Mio. CHF p. a.), als auch per „greenfield expansion M&A“ in neuen Absatzmärkten, insbesondere in Ländern mit schneller wachsendem Hörgerätegeschäft.

Das kleinste und jüngste Konzerngeschäft, das Implantate-Geschäft (Markteintritt 2009, damals hat Sonova die US-Firma Advanced Bionics gekauft), ist mit 67,3% in lokalen Währungen auf 138,3 Mio. CHF gewachsen, die durchschnittliche Wachstumsrate auf zwei Jahre beträgt +5,3% in lokalen Währungen.

Das regional größte Konzerngeschäft in Europa/Naher Osten (52% des Konzernumsatzes) hat mit 41,3% in lokalen Währungen zugelegt, die durchschnittliche Wachstumsrate auf zwei Jahre beträgt +7% in lokalen Währungen. Das US-Geschäft (31% des Konzernumsatzes) ist mit 70,3% in lokaler Währung bzw. mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate auf zwei Jahre von +12,2% lW erneut am dynamischsten gewachsen. Auch die anderen Absatzregionen entwickelten sich erfreulich.

Die Top-Wachstumsmärkte sind die alternden Gesellschaften in Westeuropa, USA und China.

CEO Kaldowski gab ein Update zum Markteintritt in China, zum Omnichannel-Vertrieb sowie zum konzernweiten Online-Geschäft, welches Sonova mittlerweile in dreizehn Absatzmärkten etabliert hat:

⁃ China und dortiger Omnichannel-Vertrieb:

„Entering China, accelerating eCommerce Healthcare is among the fastest-growing consumer needs in China, and the size of the market is only matched by its complexity: there is no one-size approach. We have therefore committed to implementing our full omni-channel strategy in this market. As a starting point for further expansion, and based on the established habits of Chinese consumers, we have launched our presence on Tencent Health, part of the WeChat platform used daily by more than 1.3 billion Chinese people, and on Alibaba Health, part of the largest B2C eCommerce platform in the country. Through these channels, Chinese consumers can find information about hearing care, conduct a digital hearing selftest, and book an appointment with one of the retail networks, totaling more than 300 stores, with which we have established partnerships through our Hearing Instruments wholesale business.“

⁃ Omnichannel/Online-Vertrieb:

„Our own eCommerce activity in multiple markets has also significantly and rapidly accelerated, both through our own branded eShops and through the acquisition in 2019 of the French company Audilo; we are now present in 13 countries. The success of Audilo is clearly reflected by its performance, with sales doubling in 2020. The overall mission for eCommerce is to increase consumer awareness, expand the sales value generated per customer with ancillary products and services, reach new consumers in our existing markets, and enter new markets where we do not yet have a physical presence.“

Die Margen:

Die dynamische Absatzerholung hat die Rohmarge über volumenbedingte Skaleneffekte erheblich befeuert (Rohmarge 73,8% = +430 bps in lokaler Währung, +1.100 bps auf zwei Jahre in lokalen Währungen). Daneben wurde der Mix weiter verbessert und das laufende Effizienzprogramm sowie leichter Rückenwind aus Devisenveränderungen haben ebenfalls zur erheblichen Margenerhöhung beigetragen. Das EBIT steigt deshalb mit 61,8% auf 372,2 Mio. CHF, die operative Marge beträgt 23,2% (+160 bps im Jahresvergleich in lokalen Währungen und +170 bps berichtet, 2 Jahre +630 bps berichtet).

Sonova hat operativ also sehr gut abgeschnitten, sie schaffen es nahezu immer, die bottom line kontinuierlich zu verbessern.

Für die Geschäftsbereiche berichtet Sonova lediglich das EBITA als operative Marge, also nicht das EBITDA, und auch nicht das unseres Erachtens sinnvolle EBIT. Der wesentliche Unterschied: Beim EBITA sind die „Depreciations“ abgezogen, also die Abschreibungen auf Sachanlagen, beim EBITDA werden auch die „Amortizations“ nicht subtrahiert, also die Abschreibungen auf immaterielles Anlagevermögen. Weshalb berichtet Sonova das EBITA? Immaterielles Vermögen und Investitionen in immaterielles Vermögen sind geschäftsmodellbedingt wesentlich größer/höher als Sachanlagen und Investitionen in Sachanlagen (M&A-bedingt und wg. bilanzieller Aktivierung von F&E; F&E ist etwa 3x größer als Capex, und lediglich ein kleinerer Teil des Capex wird für Sachanlagen eingesetzt). „Depreciations“ sind also nicht hoch. Weshalb ist unseres Erachtens das EBIT sinnvoller als das EBITDA und EBITA? „D“ und „A“ sind nun einmal Kosten, EBITDA und EBITA suggerieren ein höheres operatives Ergebnis als tatsächlich angefallen; EBITDA und EBITA sind unseres Erachtens typische Schönrechnereien aus dem angelsächsisch dominierten Investmentbanking.

Im Hörgeräte- und Retailgeschäft erreicht die EBITA-Marge 26,5% (keine Differenzierung nach Hörgerätesegment und Retailsegment, wobei die EBITA-Marge im Hörgerätesegment deutlich höher sein dürfte als im eigenen Retail), im Implantate-Geschäft erreicht sie erstmals 13%. Das ist neuer Rekord. Sonovas „bets“ sind zwar noch nicht so profitabel wie das Kerngeschäft, aber es wird zunehmend besser (konzernweit erreicht die EBITA-Marge 25,3%.)

Der Margenanstieg in H1 wurde laut CEO Kaldowski gegen Ende des Berichtszeitraums zunehmend von Störungen in der Lieferkette (vor allem bei elektronischen Komponenten) gebremst. Sonova hat frühzeitig das Lager bis unters Dach aufgefüllt (Inventories +21,9% auf 315,8 Mio. CHF), so dass Sonova die nachgefragten Geräte ausliefern kann, aber in H2 rechnet Sonova mit weiter steigenden Bezugskosten, je nach Lage auch mit leicht gebremstem Auslieferungstempo bei Hörgeräten. Zwar bleibt Sonova bei seiner Geschäftsjahres-Erwartung (24% bis 28% Umsatzwachstum und 34% bis 42% EBITA-Wachstum ohne einmalige Kosten aus dem Zukauf der Sennheiser Consumer Division, dessen Closing laut Sonovas Pressemitteilung vom  19.10.2021 bis Ende des Geschäftsjahres 2021/2022 (endet Ende März 2022) erfolgen soll. Die kartellrechtlichen Freigaben sind inzwischen erfolgt, jedoch läuft noch die Integrationsvorbereitung, z. B. bei der IT. Sonovas Mittelfristziele: 6% bis 9% in lokalen Währungen, 7% bis 9% höheres Ebita p. a.), aber die Lieferkettenprobleme und auch die höhere Vergleichsbasis in H2 im Jahresvergleich sind, so Kaldowski, herausfordernd und beeinflussen die H2-Performance. Der Aktienkurs gab danach fast 10% ab – wobei das mit Blick auf den zuvor sehr dynamischen Kursanstieg seit Jahresanfang von über 70%, der die Bewertung von Sonova unseres Erachtens zu schnell in zu luftige Höhen katapultiert hatte, ein vernünftiges „Durchatmen“ ist.

Die net-working-capital-bereinigte Free Cash Flow-Marge ist mit 24,3% gewohnt sehr hoch, berichtet sind es 21,3% (Lagerauffüllung, Zeitpunkt von Steuerzahlungen, höhere receivables).

Die Bilanz ist stocksolide: Niedrige 400 Mio. CHF Nettoschulden (rd. 0,6x Free Cash Flow; resultierend aus laufender bold-on M&A bei Retail), wobei Sonova ohne laufende Aktienrückkäufe (249,3 Mio. CHF in H1) und die Ausschüttung der Dividende (201,6 Mio. CHF) schuldenfrei wäre; die EK-Quote (bereinigt um Ladenmieten/IFRS 16) beträgt 49,1%, ohne die bei uns unbeliebten Aktienrückkäufe, die sie aber jederzeit einstellen könnten, wären es rund 55%.

Die Gesamtkapitalverzinsung (RoCe) beträgt sehr gute 23,7% FYe.

Der Enterprise Value beträgt das 32,6 fache des Free Cash Flows FYe bzw. das 30,4 fache des Free Cash Flows 2022/2023e. Den Fair Value nach Discounted Cash Flow-Methode (DCF) sehen wir bei 360 – 370 CHF/Aktie. Sonova verfügt über ein robustes Wachstum, hohe Margen und eine solide Bilanzqualität und befindet sich in Untergewichtung sowohl im Portfolio des Unternehmerfonds als auch des Unternehmerfonds flex.

Sonova ist bei Hörgeräten nicht nur umsatzbezogen Marktführer, sondern insbesondere hinsichtlich Innovation und Produktqualität. Entsprechend hoch ist die Marktmacht der Eidgenossen. Sonova weist ein robustes Geschäftsmodell mit sehr hohen Burgmauern, ein langfristig solides und verlässliches Umsatzwachstum und einen hohen und wachsenden Free Cash Flow auf, was weitere „Feuerkraft“ für Innovationen zur Folge hat. Sonova verfügt über hohe Margen, hohe Skaleneffekte und eine hohe Kapitalverzinsung. Sonova bringt also vieles mit, was wir sehen wollen, um langfristiger Miteigentümer an einer Firma werden zu wollen. Neben der Innovationsführerschaft und der hohen Produktqualität profitiert Sonova zudem von der stark alternden Gesellschaft in Westeuropa, den USA und China.