Bullenmarkt oder Bärenmarktrallye?

22. November 2022
Bullenmarkt oder Bärenmarktrallye?

Berichtssaison Teil 1

Vor gut einer Woche gab es für etliche Marktteilnehmer und Experten wieder einen Grund in eine gewisse Euphorie zu verfallen: Die Verbraucherpreise in den USA und auch die US-Kerninflationsrate legten im Oktober weniger stark zu als es erwartet worden war. Der Spekulation auf einen langsameren Anstieg des US-Leitzinses wurde Nahrung gegeben und der Aktienmarkt machte infolgedessen einen gehörigen Satz nach oben, insbesondere die Kurse der zinsreagiblen Wachstumsfirmen. Auch stiegen die Kurse derjenigen Wachstumsfirmen sehr deutlich, die als zinsreagibel gelten, es aber in Wahrheit nicht sind, wie wir in unserem 02/2022- Investorenbrief dargelegt haben. Alphabet, Apple und Microsoft seien hier als Beispiele noch einmal stellvertretend genannt.

Kaum hatte der „Markt“ den deutlichen Satz nach oben vollzogen, sprachen etliche Marktteilnehmer und Teile der Börsenpresse von einem nun einsetzenden Bullenmarkt und riefen zu Käufen auf, andere wiederum verwiesen darauf, dass es sich lediglich um eine Bärenmarktrallye handele. Was denn nun? Es spielt keine Rolle. Dann, wenn man die mittel- bis langfristige Brille aufsetzt. Erstens, weil die Gemengelage für eine kurzfristige Prognose zu unübersichtlich ist. Die unterschiedlichen Faktoren wie z. B. die weitere Entwicklung der Lieferkettenproblematik, die Entwicklung des Krieges, das mögliche Einsetzen einer Lohn-Preis-Spirale, die Entwicklung des Arbeitsmarktes und die aus diesen Aspekten heraus resultierende weitere Zinspolitik sowie die Schwere und Dauer einer Rezession machen eine (kurzfristige) Prognose unmöglich. Zweitens, und insbesondere, spielt die Diskussion über kurzfristige Timing- Aspekte für langfristig denkende Investoren keine Rolle, weil die Geschäftszahlen und die Unternehmensgewinne sowie deren Entwicklungen die Unternehmenswerte und somit – nachgelagert – die Aktienkurse langfristig bestimmen.

Und so haben wir uns auf die kürzlich berichteten Geschäftszahlen gefreut, denn sie geben ein erneutes Zeugnis davon ab, wie es unseren Firmen (unter sehr erschwerten Bedingungen) geht und ob wir auch weiterhin mittel- bis langfristig mit steigenden Unternehmenswerten / Aktienkursen rechnen können. Darauf kommt es an.

Folgend einige konkrete Beispiele der Robustheit und Stärke. Viel Licht, aber auch Schatten?

Unternehmen in diesem Artikel:

Während die „Party“ in etlichen Branchen, die kurzfristig durch die oben erwähnte Gemengelage profitiert haben, beendet zu sein scheint, so z. B. bei Logistik-Unternehmen, oder vermutlich alsbald beendet werden wird (z. B. bei Öl-Firmen), wachsen zyklische Firmen inzwischen spürbar langsamer und werden auch beim Ausblick vorsichtig, gerade Firmen mit zyklischem Konsum. Unternehmen mit nicht-zyklischem Konsum wachsen hingegen unverändert stark und erhöhen in vielen Fällen zudem ihre Prognosen – trotz vieler pessimistischer Analysten-Einschätzungen im Vorfeld. Unsere Portfoliofirmen aus dem Bereich der nicht-zyklischen Konsumgüter (Consumer Staples) sind allesamt sehr gut bis stark gewachsen und haben dabei sehr gut verdient. Haupttreiber dabei war das robuste Geschäft mit Premiummarken, von welchem etliche Analysten erwartet hatten, dass es deutlich einbrechen werde, weil die Konsumenten bei höheren Inflationsraten bevorzugt Discounter-Ware kaufen würden. Richtig ist, dass das Discounter-Geschäft tatsächlich wächst. Das Premium-Geschäft unserer Portfoliounternehmen wächst jedoch noch schneller, weil die Premiumprodukte nicht nur nützlich, sondern auch attraktiv sind und deutliche Preiserhöhungen von den Konsumenten akzeptiert werden. Procter & Gamble z. B., unsere Beteiligung mit einer der höchsten Gewichtungen im Unternehmerfonds und Unternehmerfonds flex, dokumentiert erneut die Überlegenheit der Unternehmensstrategie, hochwertige, nützliche Produkte des täglichen Bedarfs zu liefern mit einer zielgerichteten Markenkommunikation. Der Fokus auf ein konzentriertes Portfolio weltmarktführender Marken, die einen niedrigen Kapitaleinsatz erfordern, hohe Preissetzungsmacht haben und hohe Skaleneffekte erzielen, zahlt sich gerade jetzt im inflationären Kostenumfeld aus. Denn obgleich sich die Hersteller physischer Güter, also auch Procter & Gamble et. al., seit rund zweieinhalb Jahren im heftigen Sturm befinden mit Corona- Lockdowns, corona-gebremster Lieferkette und entsprechender Inputkosten-Inflation, Explosion der Energiekosten und den Unkenrufen etlicher Analysten zum Trotz, der Konsum werde in Anbetracht hoher Inflationsraten einbrechen, liefert Procter & Gamble Quartal für Quartal robust dynamisches Umsatzwachstum, steckt die enormen Kostensteigerungen und auch den heftigen Gegenwind aus dem starken US-Dollar mit seiner sehr hohen Preissetzungsmacht und stetigen Effizienzsteigerungen weitgehend weg und verdient weiterhin sehr gut. Hier geht es zu den Details.

Unser Portfolio

Auch Colgate-Palmolive etwa, über die wir in unserem 09/2022- Investorenbrief ausführlich berichtet haben, bläst heftiger Wind entgegen. Dennoch überzeugt Colgate mit Vorlage seiner Zahlen zum dritten Quartal 2022 vollends. Vielmehr ist die berichtete Free Cash Flow-Marge erstmals in diesem Jahr zweistellig und zwar deutlich, die net working capital-bereinigte1 Free Cash Flow-Marge ohnehin. Colgate erreicht im dritten Quartal ein organisches Umsatzwachstum von 7% und erhöht beim organischen Umsatzwachstum gleichzeitig die Prognose für das Geschäftsjahr von 5% bis 6% auf 6% bis 7%, während die operative Marge trotz des extrem heftigen US-Dollar-Gegenwinds von 6% (!) und trotz nach wie vor hoher Inputkosten fast stabil ist. Warum die Preissetzungsmacht bei Colgate besonders stark ausgeprägt ist, warum das Unternehmen strategisch sehr gut aufgestellt ist und wann Colgate noch deutlich mehr verdienen wird als aktuell ohnehin schon, lesen Sie hier in unserem Kurz-Update.

Kommen wir zu „Licht und Schatten“, zumindest, wenn es nach vielen Analysten geht. Alphabet / Google verfehlt im abgelaufenen Quartal den Konsens der Analysten. Der Aktienkurs gab nach Bekanntgabe der Zahlen so deutlich ab (gut 7%), dass man interpretieren könnte, das Ende der Firma nahe. Natürlich ist das eine bewusste und augenzwinkernde Überinterpretation der Kursreaktion, aber übertrieben ist nicht nur die Interpretation, sondern vor allem die Kursreaktion. Zwar ist das organische Umsatzwachstum (oW) von 11% niedriger als zuletzt mit meist 19% bis 23%, allerdings muss man berücksichtigen, dass die Vergleichsbasis mit +39% oW sehr hoch ist. Somit sind 54,3% Umsatzwachstum nicht schlecht, sondern vielmehr beeindruckend. Ein kleineres Problem hat Google aktuell allenfalls mit Youtube, dessen organisches Umsatzwachstum im abgelaufenen Quartal lediglich +3% beträgt, da laut COO Schindler – nicht überraschend – aktuell weniger Werbung für Immobilien- und sonstige Konsumenten- Kredite sowie für Versicherungen und Krypto-Investments gebucht wird. Zudem testet Alphabet nach wie vor die geeignetsten Werbeformate bei Youtube Shorts aus. Darüber hinaus arbeitet Google an besseren Werbeformaten für das bei Youtube beliebter werdende reine Hören von Musik und Wortbeiträgen. Dies tut Google, wie üblich, ohne die Intention damit schnell Geld verdienen zu wollen, sondern sie investieren mit langfristigem Fokus. Und trotz 5%-Gegenwindes aus dem starken US-Dollar hat Alphabet / Google mit einer Free Cash Flow-Marge von 24,7% gewohnt stark verdient. Auch wenn sich das Wachstum aufgrund der nachlassenden Konjunktur etwas verlangsamen mag, ist bei genauerem Blick kein „Schatten“ zu sehen: Erstens muss das Wachstum des abgelaufenen Quartals wegen der hohen Vergleichsbasis richtig eingeordnet werden. Das sich wegen des Konjunkturabschwungs verlangsamende Wachstum ist zweitens nur temporär und zugleich immer noch hoch, drittens steht Alphabet unseres Erachtens, wie bereits mehrfach beschrieben, erst am Anfang eines noch viel größeren Wachstumspfades und viertens ist Alphabet mit einem Multiple von rund 17x Free Cash Flow zum Enterprise Value2 – der negativen  Berichterstattung  von  Teilen  der  Analystenzunft  sei „Dank“ – unseres Erachtens sehr günstig bewertet, was wir auch zu Nachkäufen genutzt haben. Denn man sollte sich vor Augen halten: Alphabet reiht sich in die Riege der wenigen Firmen ein, denen es gelingt, ihren Unternehmensgewinn alle vier, fünf Jahre zu verdoppeln. Lag der Free Cash Flow 2018 noch bei hohen rund 23 Mrd. USD, so betrug er in 2021 zum Augen reibende 67 Mrd. USD. Alphabet hat also den Free Cash Flow innerhalb von vier Jahren verdreifacht bei gleichzeitiger Umsatzverdoppelung im selben Zeitraum. Und das schon seit vielen Jahren hohe Beschleunigungstempo beim Free Cash Flow-Wachstum nimmt wegen der extrem hohen Skaleneffekte des Geschäfts weiter zu.

Zu drittens, also warum Alphabet und andere „Ausnahme- Technologiefirmen“ erst am Anfang eines noch größeren Wachstumspfades stehen: Beispiel Google Cloud Platform (GCP): Diese wurde erst vor rund fünf Jahren gestartet und es beeindruckt, was Alphabet mit seiner überlegenen Artificial Intelligence-Platform alles macht bzw. wozu Alphabet hiermit in der Lage ist. GCP hilft beispielsweise Consumer Staples und Retailern, Verkaufspreise zu optimieren und Ausliefermengen in den Vertriebskanälen besser zu steuern, um ein Überangebot oder mangelndes Angebot zu vermeiden. GCP steuert Lieferketten effizienter als es die Firmenkunden selbst können. GCP verbessert etwa das Risikomanagement des Kreditbuchs bei Banken, GCP optimiert die working capital-Planung von Unternehmen, GCP beschleunigt die Medikamentenentwicklung von Biotech-/Pharmafirmen, GCP macht die Produktentwicklung bei Industrieunternehmen effizienter und, und, und.

Die monatliche run rate von GCP beträgt schon jetzt über 2 Mrd. USD pro Monat und wächst > 30%.

Bemerkenswert ist übrigens auch, dass AWS (Amazon) zunehmend langsamer wächst als Microsoft Azure und Google Cloud Platform, insbesondere beim derzeitigen konjunkturellen Abschwung.

Nun kann man entgegnen, AWS ist größer, also können sie langsamer wachsen. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung. Denn: gerade jetzt in Zeiten der Konjunkturschwäche buchen Firmen nur Cloud-Produkte, die unverzichtbar sind. Speicherkapazität und Basis-Datendienste  buchen  viele  Firmen  aktuell  nur  auf „Sparflamme“. Aber intelligente Datenanalyse ist auch jetzt notwendig, dort wird nicht gespart. Und hier sind nun einmal Microsoft Azure und GCP weit vorne. Azure hat dabei den Vorteil, dass Microsoft bei den meisten Firmen bereits verankert ist, wodurch sich ein riesiges Marktpotential ergibt. Alphabet hat mit ihrer GCP den sehr großen Vorteil, dass sie verschiedenste Kunden-Software auf ihrer Plattform integrieren und so sämtliche Daten aus jeder Kundensoftware analysieren können, während Azure alles außerhalb der Microsoft-Welt aufwändig integrieren muss. Also hat auch Google CP ein riesiges Marktpotential. Als neutraler Akteur ohne eigene Software-Interessen langfristig sogar das größere Marktpotential, dem aber die einzigartige Vertriebspower von Microsoft bei B2B entgegensteht, weshalb deutlich und verständlich wird, weshalb Google CP so massiv in den Vertrieb investiert.

Und allgemein: Alphabet, Apple, Microsoft und Visa, aber auch z. B. Adobe, stehen erst am Anfang eines noch höheren und noch profitableren Wachstumspfades, da ein hoher Cash Flow einen zukünftig noch höheren Cash Flow produziert, weil man mehr Möglichkeiten und eine größere Power hat, immer Neues zu entwickeln und immer mehr Märkte für sich zu gewinnen. „Cash produziert mehr Cash“. Und wegen der sehr hohen Skaleneffekte wird das ‚Mehr‘ exponentiell größer.

So auch bei Visa, das – sehr beeindruckend – ein Rekord- Umsatzwachstum und eine Rekord-Free-Cash-Flow-Marge erzielt, was auch der „Markt“ nach Bekanntgabe der Zahlen goutierte. Bezogen auf das berichtete Geschäftsjahr liegt die Free Cash Flow-Marge trotz Gegenwindes aufgrund des starken US-Dollars, der Umsatz und Marge kostet, bei 61% (!). Zur Einordnung: Etliche Firmen sind Free Cash Flow-negativ, nicht allzu viele Firmen schaffen verlässlich eine zweistellige Free Cash Flow-Marge; Visa verlässlich jenseits >50%. Das organische Umsatzwachstum beträgt im berichteten vierten Quartal 23% und im Geschäftsjahr 24%, obgleich das profitabelste Geschäft, die grenzüberschreitenden Transaktionen, sich zwar dynamisch erholen, aber wegen des immer noch beschränkten Reisegeschäfts unterhalb des 2019er Niveaus liegen. Säkulare Wachstumstreiber sind die neuen Geschäftsfelder von B2B- Überweisungen bis Online-/Mobil-Bezahlung. Stark.

Bei Microsoft zeigte sich die Analysten-Zunft „enttäuscht“ angesichts der Prognose für das nächste Quartal, in welchem Azure „nur“ um 35% (!) zulegen soll statt der vom Analysten-Konsens erwarteten 39%. Es liegt die übliche Manier vor: Das „Stöckchen“ wird immer ein wenig höher gelegt, bis selbst das beste Unternehmen nicht mehr darüber springen kann. Alsbald werden die Erwartungen  heruntergeschraubt  und  die  entsprechende  Firma „überrascht“ wieder positiv. Dabei ist das berichtete erste Quartal sehr gut gelaufen: das organische Umsatzwachstum beträgt 16%, die Free Cash Flow-Marge ist mit 33,7% gewohnt sehr hoch, wiederum trotz des starken US-Dollars (-5%).

Die guten Zahlen von Adobe wurden hingegen auch vom Markt positiv aufgenommen. Sie zeigen aber vor allem vielmehr, dass die schwache Weltkonjunktur die Verkaufszyklen für Firmen-Software zwar leicht verlangsamt, aber Adobe im Vergleich zu den meisten anderen Software-Firmen selbst aktuell klar schneller wächst, weil die Adobe-Produkte für viele Firmenkunden mittlerweile erfolgskritisch sind.

Und Apple? Viele „Börsenexperten“ und Analysten waren sich vor Bekanntgabe der Zahlen wieder einig: Bei den hohen Inflationsraten wird es zu einer deutlichen Kaufzurückhaltung bei Apple-Produkten kommen. Es sehe düster aus für Apple, so die weit verbreitete Einschätzung der Analystenzunft vor Bekanntgabe der Zahlen. Tatsächlich? Die berichteten Fakten der Geschäftsjahreszahlen 2021/2022 sprechen eine ganz andere Sprache. Auf das gesamte Geschäftsjahr bezogen konnte Apple mit volumenbedingten Skaleneffekten und stetig steigendem Produktmix die Rohmarge, die operative Marge und schließlich auch die Free Cash-Flow-Marge steigern – und zwar alles auf Rekordniveaus.

Absolute Zahlen zum Augenreiben: Der echte Unternehmensgewinn, Free Cash Flow, betrug im Geschäftsjahr 2018/2019 rund 58 Mrd. US-Dollar. Ein extrem hoher Gewinn, der seinesgleichen suchte und sucht. Der Free Cash Flow 2021/2022 beträgt rund 111 Mrd. US-Dollar… Also fast eine Verdoppelung, die Apple – wie auch etwa Alphabet, Microsoft und Visa – alle vier, fünf Jahre schafft. – Atemberaubend. Mit einem Free Cash-Flow in Höhe von 111 Mrd. USD verdient Apple übrigens fast drei Mal so viel wie alle DAX 40-Unternehmen zusammen. Der Gewinn ist damit in etwa so hoch wie die Steuereinnahmen der Schweiz (Bund und Kantone). On top: Eine interne Verzinsung des eingesetzten Kapitals (RoCe) von außerordentlich hohen 218% findet man auf dem weltweiten Kurszettel fast gar nicht.

Apple läuft wie ein Uhrwerk. Warum das konkret so ist, wie das vierte Quartal gelaufen ist, wie es um die von Analysten befürchtete Kaufzurückhaltung bei Apple-Produkten bestellt war und warum Apple kein “The Next Big Thing” braucht, lesen Sie hier.

Die abgelaufene Berichtssaison zeigt das altbekannte Bild: Weltklassefirmen wachsen selbst unter schwierigen Rahmenbedingungen ordentlich bis sehr stark, mitunter teils etwas verlangsamt, was aber nur temporär ist, und verdienen dabei mehr und mehr. Das ist entscheidend. Als Langfristinvestoren und Miteigentümer an derartigen Unternehmen können wir – die Resilienz unserer Firmen stetig gewissenhaft prüfend – trotz Konjunkturabschwungs und Baisse gelassen bleiben. Und auf jede Baisse folgt auch irgendwann wieder eine Hausse.