Tatsächliche und „Möchtegern“-Plattformunternehmen

29. August 2023
Tatsächliche und „Möchtegern“-Plattformunternehmen
Sind unsere Daily Used Tech-Firmen zu teuer?

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Investoren, 

nach der sehr guten Kursperformance etlicher Technologiefirmen im laufenden Jahr mehren sich in der Börsenpresse in jüngster Zeit die Stimmen, welche die Bewertungen der großen Technologieunternehmen, so zum Beispiel von Apple, Google oder Microsoft für ausgereizt oder gar überteuert halten und zu einer „Rotation“ in (vermeintlich) günstig bewertete „Value“-Aktien raten. In unserem letzten Investorenbrief haben wir bereits anklingen lassen und kurz dargelegt, dass z.B. unser Portfoliounternehmen Apple keineswegs teuer, sondern sogar wesentlich günstiger und für langfristig denkende Investoren somit attraktiver bewertet ist als etwa der mit (vermeintlichen) „Value“-Perlen gespickte DAX. Und das bei ganz anderer Geschäftsmodell-Qualität. Denn wie gut ein Unternehmen wirklich ist, zeigt sich bei einem schwachen Marktumfeld. Und das ist aktuell gegeben: Die Märkte für Smartphones, PC, Notebooks, Tablets und Wearables sind derzeit bei flauer Weltkonjunktur im Rückwärtsgang. Zwar wird sich dies alsbald auch wieder ändern und viele Käufe sind nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Dass Apple jedoch trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen – in deutlichem Gegensatz zu den Wettbewerbern – auch im abgelaufenen Quartal organisch gewachsen ist und dabei die Profitabilität abermals gesteigert hat, zeigt die Ausnahmestellung Apples in puncto Resilienz, Geschäftsqualität und nachhaltige Ertragskraft.

Die berichteten Geschäftszahlen zum dritten Quartal (Q3 2022/2023) sowie das Geschäftsmodell haben wir näher beleuchtet. Natürlich wie immer aus unternehmerischer Sicht, aber erstmals in unserem neuen Format „Unternehmerische Perspektive“Schauen Sie einmal hinein. Auch zum vermeintlich heiklen Thema der Bewertung Apples beziehen wir – zusätzlich zu unseren relativen Bewertungsüberlegungen im Vergleich zum DAX – Stellung.

Auch unser Plattformunternehmen Alphabet / Google wächst trotz der schwächeren Rahmenbedingungen, die beiden Hauptgeschäftsfelder Werbung und Cloud ordentlich bis teilweise sehr dynamisch. Die Wettbewerber performt Google um Längen aus. Und bei der Künstlichen Intelligenz befindet sich Alphabet in der Pole-Position. In unserem nächsten Investorenbrief werden wir näher auf das abgelaufene Quartal von Alphabet / Google, das Geschäftsmodell und die Bewertung eingehen.

In Reihen der hochkapitalisierten und indexrelevanten Unternehmen gibt es neben Apple und Google aber natürlich auch einige andere prominente und populäre Unternehmen wie z.B. Amazon oder auch Netflix. 

Firmen wie Amazon oder Netflix, die häufig im selben Atemzug wie z.B. Apple oder Google genannt werden, können letztgenannten Ausnahmefirmen in Bezug auf die Qualität des Geschäftsmodells nicht ansatzweise das Wasser reichen. Und während unsere Daily Used Tech-Firmen, deren Produkte und Dienstleistungen aus dem täglichen Leben von Milliarden von Konsumenten und Millionen von Unternehmen nicht wegzudenken sind, mit unternehmerischer und langfristiger Perspektive betrachtet fair, teils günstig bewertet sind, sind Firmen wie Amazon oder Netflix deutlich zu hoch bewertet.

Völlig konträr beurteilen wir die Qualität und Bewertung der Geschäftsmodelle von Amazon oder Netflix, die häufig und völlig undifferenziert in gleichem Atemzug mit Apple, Google oder auch Microsoft genannt werden. Unseres Erachtens völlig zu Unrecht: Während die Gewinnmaschine Apple zuverlässig Gewinn – Free Cash Flow und nicht etwa EBIT oder EBITDA – generiert, ist Amazon – ebenso zuverlässig – eine wahre Geldverbrennungsmaschine mit einem Free Cash Flow von z.B. minus 20 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2022. Die Folge ist ein verlässlich steigender Schuldenberg mit Nettoschulden von über 150 Mrd. USD. Eigentlich müssten daher die Alarmglocken der Analysten pausenlos schrillen. Doch weit gefehlt, die Analystenzunft erfreut sich viel lieber über das hochgelobte EBITDA oder EBIT, das fälschlicherweise als der Unternehmensgewinn betrachtet wird. Nach dem Prinzip Hoffnung setzen die Analysten seit Jahren darauf, dass mit steigenden Umsätzen die Verluste verschwinden und nach und nach immer höhere „Gewinne“ sprudeln. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mit steigenden Umsätzen wird immer mehr Geld verbrannt, der Schuldenberg wächst und erreicht mittlerweile dramatische Ausmaße. Von den erhofften Economies of Scale ist weit und breit nichts zu sehen. Der Grund dafür ist, dass der Kapitalbedarf des Online-Handels gigantisch ist und Skaleneffekte ausbleiben, da für das Umsatzwachstum einerseits immer mehr Warenzentren gebraucht werden und andererseits das Lagervolumen weiter zunimmt und Cash bindet, zumal die Distribution mit Lagerhaltung und Logistik hochkomplex ist. Und ob das Cloud-Geschäft AWS Geld verdient, ist ebenfalls unklar. Die operative Marge von AWS steigt zwar, aber der (sehr hohe) Capex wird nicht transparent dargestellt und damit auch nicht der Free Cash Flow bei AWS. Und, bedeutsam: Zudem fehlt der Cash Flow, den das E-Commerce-Geschäft verschlingt, bei AWS, so dass wir bezweifeln, dass Amazon im Cloud-Geschäft langfristig mit Google und Microsoft wird mithalten können.

Jedenfalls ist Amazon nur lebensfähig, solange der Kapitalmarkt das permanente Geldverbrennen mit frischem Geld goutiert. Das muss und sollte jedem bewusst sein, der bei Amazon investiert. Das Risiko bei Amazon ist aus unserer Sicht enorm hoch, und die Erfahrung lehrt, dass sich theoretische Risiken irgendwann auch materialisieren. Und das bei einer – unternehmerisch sauber gerechnet – astronomisch hohen Bewertung der Firma / Aktie.

Zwischen der Qualität und Bewertung von Apple und Google auf der einen Seite sowie Amazon und Netflix auf der anderen Seite liegen nach unserer Auffassung somit Welten. Auf der einen Seite handelt es bei Apple und Google um digitale – kapitalleichte und hochskalierbare –Plattformunternehmen, die erst am Anfang eines noch höheren Wachstumspfades stehen dürften und mit denen man als Langfristinvestor auch zukünftig bei sehr geringem Risiko eine ansprechende Wertsteigerung erzielen sollte, gerade auch mit Blick auf die gemessen an der Qualität der Geschäftsmodelle keineswegs teuren Bewertungen; auch wenn es natürlich auch hier Risiken gibt wie beispielsweise das Kartellrecht oder das hohe und zunehmende Maß an Komplexität.

Apple, aber auch andere Plattformunternehmen wie Google, Meta, Microsoft und Visa verfügen über extrem hohe Größen- und – als Mehrprodukt-Unternehmen – mittlerweile auch Verbundvorteile, was die Grenzkosten (also die Zusatzkosten pro weiterem Nutzer) massiv drückt und fast gegen Null sinken lässt, weil die Fixkosten sehr gering und die variablen Kosten noch geringer sind. Daher sind die Margen pro Nutzer sehr hoch. Selbst bei sinkenden Preisen steigen Umsatz und Margen bei schneller wachsender Nachfrage (Werbegeschäft bei Google/YouTube und Meta, die App-Geschäfte, Windows von Microsoft, die Cloud-Geschäfte, die Payment-Plattform von Visa etc.) und zusätzlich bei Nachfrage nach mehreren Produkten (die Ökosysteme von Apple und Google). Allerdings haben Plattform-Unternehmen aufgrund ihrer hohen Produktattraktivität sowie der hohen Kosten für den Aufbau alternativer Plattformen prinzipiell eine hohe Preissetzungsmacht, so dass diese Firmen niedrigere Preise nur dann einsetzen, wenn dies den Umsatz über eine besonders schnell steigende Nachfrage noch stärker befeuert (z.B. das Werbegeschäft von Google und Meta) als steigende Preise den Umsatz erhöhen (z.B. iPhones/Macs oder Windows). Sodann verstehen es die Plattformfirmen, sich wiederkehrende Einnahmen pro Nutzer zu erschließen, etwa durch Abos, was die Grenzkosten weiter sinken lässt. Und die Plattformunternehmen fügen immer neue Produkte hinzu, was die Kosten pro Nutzer noch mehr senkt und die Verbundvorteile ständig erhöht.

Zugleich werden mit steigender Nutzerzahl die angebots- und nachfrageseitigen Netzwerkeffekte immer größer. So sinken angebotsseitig die Kosten pro Nutzer, für welchen wiederum der Nutzen, Kunde zu werden, mit zunehmender Nutzeranzahl steigt. Ein veranschaulichendes Beispiel ist unser Portfoliounternehmen Visa: Gewinnt Visa mehr Nutzer, wird Visa für immer mehr Händler attraktiv. Gewinnt Visa mehr Händler, werden sie wiederum für mehr Nutzer attraktiv. Zudem sind die Markteintrittshürden sehr, sehr hoch, denn Wettbewerber müssten dieselbe Plattform aufbauen, um kosteneffizient und für Nutzer attraktiv zu sein.

Apple, Google, Microsoft, Visa und einige wenige andere Firmen sind hochprofitable PLATTFORMUNTERNEHMEN; Amazon, Netflix oder auch Tesla sind PRODUKTIONSUNTERNEHMEN.

Auf der anderen Seite stehen Produktionsfirmen und Betreiber stark physischer Plattformen, die geschäftsmodellbedingt kapitalintensiv, skalenschwach und niedrigmargig sind und deren Geschäftsmodell deshalb wesentlich risikoreicher ist, weshalb auch ein entsprechendes Investment in Firmen wie Amazon und Netflix wesentlich riskanter ist, nicht zuletzt in Anbetracht der sehr hohen Bewertung dieser Firmen.

Für Netflix ist die Produktion von Content nicht nur teuer, sondern darüber hinaus im großen Maße abhängig von Blockbustern. Hinzu kommen hoher Wettbewerbsdruck und Konzentration durch Amazon mit MGM sowie TimeWarner mit Discovery. Bei einem Unternehmen wie Netflix sinken zwar die Grenzkosten für einen einmal produzierten oder eingekauften Inhalt bei steigender Nutzerzahl (und auch bei mehrmaliger Wiedergabe des Inhalts). Allerdings muss (!) Netflix permanent neue Inhalte produzieren, um Kunden zu halten und neue Kunden zu gewinnen. Das begrenzt die Marge pro Kunde wie bei anderen normalen Produktionsfirmen. Außerdem produzieren auch viele andere Wettbewerber Inhalte wie z.B. Disney, Amazon und Apple. Die beiden letztgenannten Firmen müssen mit den Inhalten außerdem nicht unbedingt Geld verdienen, weil ihre Produktplattformen für Nutzer mit den Inhalten noch attraktiver werden, und so neue Nutzer auf die Plattform kommen, die nicht nur diese Inhalte abonnieren, sondern auch andere Plattform-Produkte nutzen. Dies drückt auch auf die Preise für Netflix.

Fazit: Die Überlegenheit von erstklassigen Plattformunternehmen wie Apple & Co. hat somit handfeste ökonomische Gründe, die in einem geringen Kapitaleinsatz, hohen Skaleneffekten, wenig Wettbewerb bzw. einer exklusiven Marktposition und entsprechend hohen, gut planbaren Margen sowie einer starken Bilanz zu sehen sind. Diese Vorzüge des Geschäftsmodells haben im Übrigen auch Einfluss auf die Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbereitschaft sowie die Komplexität von Firmen und deren Bewältigung; ein Aspekt, den man als Investor nicht vernachlässigen sollte, da sich Märkte schnell ändern können, gerade im Tech-Bereich. Wandlungsfähigkeit und -bereitschaft sowie Komplexitätsreduktion sind für uns daher wichtige Kriterien bei der Beurteilung und Bewertung von Unternehmen aus der Technologiebranche.

So manch anderem hochkapitalisierten Unternehmen wird von vielen Analysten und Börsenkommentatoren zwar ebenfalls der Plattformcharakter zugesprochen. Doch unternehmerisch betrachtet fehlen diesen Firmen die entscheidenden Attribute, die wahre Plattformunternehmen kennzeichnen. Vielmehr handelt es sich teilweise um klassische Produktionsunternehmen wie Netflix oder um Möchtegern-Plattformfirmen, die wie z.B. Amazon mit ihrem Cloud-Geschäft kapitalintensive, margenschwache Handels- und Logistikaktivitäten quersubventionieren. In unseren Augen werden Amazon, Netflix & Co. von den wahren Plattformunternehmen immer weiter abgehängt. Für uns als Investoren bedeutet dies, zwischen den Geschäftsmodellen der hochkapitalisierten Unternehmen sauber zu differenzieren. Während wir von Möchtegern- bzw. Pseudo-Plattformunternehmen die Finger lassen, sehen wir als Langfrist-Investoren nicht die geringste Veranlassung, unseren Daily Used Tech-Unternehmen wie Apple und Alphabet, aber auch Adobe und Microsoft den Rücken zu kehren, zumal sie unternehmerisch und langfristig betrachtet fair bewertet sind. Im Gegensatz zu den „Möchtegern“-Plattformunternehmen und zahllosen gehypten Firmen mit vermeintlich „spannenden“ Geschäftsmodellen, welche die nachhaltige Ertragskraft ihres Geschäftsmodells erst noch unter Beweis stellen müssen und aktuell defizitär sind. Vielmehr: Situationen, in denen die Kurse von Apple, Alphabet & Co. „schwächeln“ sollten, sind daher willkommen, um uns zu günstigeren Preisen langfristig an derartigen Ausnahmefirmen zu beteiligen.

 

In diesem Sinne mit herzlichen Grüßen,

Dominikus Wagner und Dr. Dirk Schmitt

 

PS: Und wer sich ein Produktionsunternehmen der Extraklasse, das es mit den besten Firmen der Welt bei allen unternehmerisch relevanten Charakteristika aufnehmen kann, anschauen möchte, dem sei unsere Quartalsanalyse zu Hermès empfohlen.

Lesen Sie hier die Unternehmerische Perspektive.

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Glossar:

CCR = Cash Conversion Rate

EK = Eigenkapital

EV = Enterprise Value

1FCF = Free Cash Flow. Das Nachsteuerergebnis ist nicht der Unternehmensgewinn, sondern der freie Barmittelzufluss (Free Cash Flow), da nur der Free Cash Flow Abschreibungen, Betriebskapital (working capital) und Investitionen berücksichtigt. Der wirkliche Unternehmensgewinn, der Free Cash Flow, ist für uns eine maßgebliche Bezugsgröße für die Unternehmensbewertung. 

FY = Financial Year

FYe = expected Financial Year

2nwc = Net working capital. Warum wir uns den um die net-working-capital-Veränderungen bereinigten Free Cash Flow anschauen: Der Lagerwert ist bei allen Herstellern physischer Güter wegen der Lieferkettenprobleme deutlich erhöht. Denn die Hersteller physischer Güter legen sich wegen der gestörten Lieferkette derzeit sämtliche Vorprodukte ins Lager, derer sie habhaft werden können.  Das derzeit hohe im Lager gebundene Cash wird nach dem Bilanzstichtag mit dem Abverkauf der Produkte „befreit“ und sozusagen verspätet als echtes Cash im Cash Flow-Statement gezeigt. Somit ist der net-working-capital-bereinigte Free Cash Flow die validere Kennzahl zur Bewertung der Profitabilität einer Firma unter der Bedingung selbstverständlich, dass die jeweilige Firma nicht auf dem Lager „sitzen bleibt“ oder Lagerabwertungen vornehmen muss.

oW = organisches Umsatzwachstum

Q1, Q2 usw. = Quartal 1, Quartal 2 usw.

3RoCe = Return on Capital employed. Wir legen großen Wert auf eine valide und konservative Struktur der eingesetzten Kennzahlen und berechnen das RoCe daher als Free Cash Flow im Verhältnis zum Eigenkapital plus Nettofinanzschulden bzw. abzgl. Nettofinanzposition plus relevante, langfristige Rückstellungen wie Pensions- und Leasingverpflichtungen.

Stand der Daten: 29.08.2023